Vor 5 Jahren interviewte mich das Spielplatz-Magazin zum Thema Arbeitsplatzsimulationen. Da das Onlinemagazin nicht mehr erscheint, veröffentliche ich das Gespräch nun hier:
Wer spielt überhaupt Simulatoren? Wie lässt sich diese Spielergruppe bezüglich demografischer, sozioökonomischer und psychografischer Merkmale beschreiben?
Roth: Mir sind derzeit keine Studien bekannt, die unterschiedliche Spielertypen für Simulatoren klassifizieren. Basierend auf eigenen Erfahrungen und vom Bauchgefühl her, sind es eher männliche Spieler, die allerdings durch alle Altersklassen und Schichten hindurch. Das würde sich auch mit den hohen Verkaufszahlen decken, die eben durch die breite Masse der Käufer zustande kommen, Simulatoren haben sich regelrecht zum Mainstream gemausert. Obwohl sie in Form von z.B. Flug- und Ubootsimulationen eigentlich ein alter Hut sind, wird der Markt nun seit Jahren mit weiteren Simulationsinhalten bedient. Das scheint sich zu lohnen, wie die Nachfrage zeigt.
Im Grunde simuliert jedes Spiel etwas. Je realitätsnaher ein Spiel sein Thema umsetzt, desto eher spricht man von einer Simulation. So kann man dann auch ein Kriegsactionspiel (z.B. CoD: Modern Warfare) von einer Kriegssimulation (wie z.B. Armed Assault) unterscheiden. Ab wann würde man ein Sims als eine Lebenssimulation ansehen? Ist Minecraft eine Landschaftsgestaltungs-, Lego- oder gar Survivalsimulation?
Wonach wählen Spieler die Simulatoren aus, die sie kaufen (nehmen sie gezielt ähnliche Berufe wie ihre realen oder doch ganz andere)?
Roth: Auch das kann nur eine gezielte Studie zeigen, vielleicht wäre eine Umfrage hier im Magazin ein Start. Ich fange dann gleich einmal mit einer Anekdote an: Eins meiner ersten Computerspiele brachte mein Vater überraschend eines Tages mit. Es war ein komplexer Flugsimulator, der mit einem dicken Handbuch kam. Die Realitätsnähe machte einen großen Reiz aus, besonders da sich mein Vater vom Segelfliegen ein wenig auskannte und wir sein Wissen nun auf das simulierte Flugungeheuer übertragen wollten. Mit dem Handbuch auf dem Schoß starteten wir die vier Motoren Klick für Klick und eine neue Welt erschloss sich auf dem klobigen Röhrenbildschirm. Das Abheben ging schnell leicht von der Hand, nur das Landen war eine echte Herausforderung. Ein Grund für mich bei Simulationen zu bleiben und nicht mein Leben beim Segelflug zu riskieren.
Später interessierten mich alle möglichen Themen, Wirtschaftssimulationen (z.B. Railroad Tycoon), Städtesimulationen (Sim City) und Autorennspiele (wie Nascar). Ich glaube daher, dass es vielen Computerspielern so geht: Wenn ein Spiel von Freunden geliebt oder von der Fachpresse gelobt wird, dann schaut man sich auch mal ein neues Spielsetting an – das Gameplay musste einfach stimmen. Fans einer Sportart oder eines bestimmten Berufes freuen sich natürlich besonders, wenn es eine gut umgesetzte Simulation zum Thema gibt.
Fast immer, wenn ein neuer Simulator auf den Markt kommt, schießt er in den Verkaufscharts ganz nach oben. Woher kommt dieser Boom?
Roth: Wenn es sich beim Simulator um ein frisches Nischenthema handelt, dann greift das die Presse gerne auf. Stimmt dann noch der Preis, kann man ja einen Kauf wagen, wie bei einem lustigen Gimmick. Spielerisch waren die ersten Nischensimulationen oft sehr überschaubar und einfach gehalten, ich denke spontan an eine Baggersimulation. So ein reduziertes, mehr oder weniger realitätsnahes Thema, ohne epische Geschichte, Baggergilde und Highscoreliste hat anscheinend einen großen Reiz.
Was motiviert Menschen, nach dem Feierabend in ihrem richtigen Beruf noch in die virtuelle Rolle eines Landwirts, Busfahrers oder Feuerwehrmanns zu schlüpfen?
Roth: Ein Bauernhof ist für viele Menschen mit einer romantischen Vorstellung verbunden. Der Landwirtschafts-Simulator ist hierbei für “Städter” die einfachste Methode diese Vorstellung auszuleben. Andere Berufe werden seit der Kindheit als cool, heroisch oder einfach spannend angesehen, sei es der Feuerwehrmann oder Lokführer.
Der Müllmann und Busfahrer springt allerdings etwas aus der Reihe. Aber vielleicht sehnen sich viele Menschen nach einer überschaubaren Tätigkeit, um nach der Arbeit zu entspannen. Einfach mal was ganz anderes erleben. Zum Beispiel das Leben eines Landwirtes.
Es hat so ein bisschen den Anschein eines Rollenspiels. Über Rollenspieler sagen Studien aber, diese flüchteten sich aus der wahren Welt in eine Scheinwelt, weil diese ihnen Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung böte, die sie im realen Leben nicht haben. Inwiefern trifft das auf Nutzer von Simulatoren auch zu?
Roth: Ja, absolut. Diese Spiele bieten nämlich eine geordnete, geradezu heile, klar strukturierte und daher funktionierende Welt. Ohne zwischenmenschliche Konflikte erlebt man den eigenen Fortschritt, das Wachstum (in der Natur, wenn die Saat aufgeht und finanziell, wenn man mit den Erträgen Gewinn macht). Simulationen bieten Raum für frei gewählte Arbeit, die als Unterhaltung empfunden wird. Die sogenannte intrinsische Motivation, also das Ausüben einer Tätigkeit bereits als belohnend zu empfinden, ist die wirksamste Motivation und tief in unserem Gehirn verankert, das Lernen und Fortschritt mit Dopamin belohnt.
Diese Faszination teilen Simulationen also mit anderen Computerspielen, darüber hinaus können sie das Gefühl vermitteln, eine komplizierte Technologie oder Technik (Traktor, Panzer, Zug, Flugzeug) zu beherrschen. Macht und Herrschaft sind wichtige Motivationen bei der Computerspielnutzung. Die Simulationen führen sicher auch die Faszination für die realen Maschinen in das digitale Zeitalter und ermöglichen dabei Kindheitsträume, die sonst unmöglich oder nur sehr kostspielig wahr geworden wären. Interessant ist die Frage, wie gut man durch einen Simulator lernt. Das Gefühl, eine dieser Maschinen nach dem Spielen auch in echt verstehen und bedienen zu können, trägt sicher zu dem Reiz bei. Der Übergang zwischen Spiel und Arbeit ist ja bereits fließend und wir werden in Zukunft immer öfter Simulatoren für die Ausbildung echter Berufe vorfinden.